Rondinone, Ugo,
Where do we go from here? 23a Bienal internacional de São Paulo en 1996, Suiça = 23rd International Biennale of São Paulo 1996, Switzerland. Baden: Lars Müller, 1996. 73 Seiten mit Abbildungen. Pappband (gebunden). 4to. 312 x 248 mm.
* Texte von Ugo Rondinone, Bice Curiger, Pierre-André Lienhard, Christophe Doswald und Philippe Régnier. Englisch, mit beigelegtem Textheft in deutsch, französisch und englisch.
Bestell-Nr.161093
Rondinone |
Kunstausstellung |
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Bienal Sao Paulo |
Clown
SCHWERELOS Bice Curiger
Jung an Jahren hat Ugo Rondinone eine Werkspur gelegt, die schwierig
einzukreisen ist, Wer seine künstlerische Arbeit über die Jahre hinweg verfolgt hat,
dem haben sich in der Erinnerung nicht nur Einzelobjekte, sondern eine Art Eintritte
in Stimmungszellen oder mentale Passagen im Gedächtnis eingeprägt.
Ephemere Ereignisse waren es, von Ugo Rondinone sorgfältig inszeniert in
Gehäusen und Hüllen, die einen klaren Übergang markierten: Von der Welt
draussen, in den Raum der Kunst und von dort hinein in den Kosmos des Künstlers.
Der hellen Grundatmosphäre entsprach meist ein Gefühl von Schwerelosigkeit, von
fehlender Friktion. Als würde man sich im Zentrum eines Sturms befinden, wo
bekanntlich Ruhe herrscht. Oder im Innern einer Seifenblase. Sogenannte „Live"-
Realität drang nur in wohldosierten Fetzen, „gerahmt" durch das Viereck des
Fernsehbildschirms oder durch ein von Holzlatten akzentuiertes Fenster in diese
Welt der fragilen Künstlichkeit.
Ugo Rondinones Aufmerksamkeit gilt liebevoll auch der kleinsten Einheit. Die
extrem labile Konstruiertheit seines Universums baut auf stark verwobene visuelle,
aber auch auf akustische Sinneseindrücke, welche alle bloss eines zu beabsichtigen
scheinen: die Totalität im subtilen Umgarnen des Besuchers. Kategorien wie
Zeichnung, Bild, Skulptur, Video, Photographie, ja selbst Installation, erscheinen
als zu reduktionistisch angesichts der den Elementen eingeschriebenen Rollen
auserwählter Zudienerschaft.
In allem macht sich das Gefühl breit, nicht zu wissen, ob man eigentlich drinnen
oder draussen ist, eingeschlossen oder ausgeschlossen.
Es gibt einige Leitmotive, dazu gehört die bukolische Landschaft, die einen Sprung
in eine andere Zeit anböte, wäre da nicht dieses Blow-up, welches die intime
Handzeichnung in den Bereich des zeitgenössisch Propagandistischen hisst. Dem
Vergrössern entspricht das Verziehen, Verzögern der aus den winzigen
Lautsprechern skandierten, in „Zeitlupe" wiedergegebenen Musik. Dieses
Bearbeiten der Psyche, zuweilen auch untermauert von merkwürdigem Gelächter,
mündet unweigerlich in den Zustand nervöser Überspanntheit. Und noch
vordringlicher als zuvor stellt sich die Frage: Sind wir miteingeschlossen, oder
werden wir ausgestossen?
Der Clown, diese penetrante kulturelle Halbweltfigur, mit seinem nivellierenden
Anspruch, Jungen und Alten, Armen und Reichen Freude zu bereiten, stellt gerade
an die Sensibilität eine Herausforderung dar. Als populistischer Popanz ist er purer
Gegensatz zur exklusiven Künstlichkeit der Figuren der Photoserie „I Don't Live
Here Anymore", in welcher Ugo Rondinone mit sichtbarem Bartansatz im Körper
von weiblichen Models der äussersten und jugendlichsten Modefront erscheint. Der
Clown ist alterslos und unmodisch. Und absurderweise wird gerade im ewigen
Jugendkult der Mode ebenfalls ein Stillstand propagiert: Vor lauter
Erneuerungsanspruch ergibt sich als Bewegung bloss hysterisches Treten an Ort.
Wo Ugo Rondinone seine Person einführt, herrscht Melancholie. Manchmal stellt
er sein Double aus, ein am Boden sitzender, erschöpfter junger Mann mit
niedergeschlagenem Blick. Auch die akribisch in Comics-Stil rapportierten
Lebensberichte lassen den Verdacht aufkommen, dass Ugo Rondinone bloss wieder
seinen Doppelgänger hingeschickt hat, die exzessiven Erfahrungen zu erleben, die
er selber nie zu machen braucht, weil sie ihm schon als zweite Natur kulturell
einverleibt wurden. Zum Verwischen der Realitätsebenen und Zeitüberlagerungen
passt die Kunst des Zitierens bis hin zum appropriieren der Appropriation.
Ugo Rondinone sitzt nicht im Schmollwinkel. Vielmehr führt er mit
bienenfleissiger Hingabe die dem Individuum heute zugedachte Rolle gewissenhaft
aus, scheinbar schwerelos, als Doppelsalto nach innen.