Twain, Mark [d.i. Samuel Langhorne Clemens],
Der geheimnisvolle Fremde. Eine Phantasie. Leipzig: Insel-Verlag, 1921. 179 Seiten. Leinen mit Farbkopfschnitt. 189 x 126 mm.
* Deutsch von Wilhelm Nobbe. - Gebrauchsspuren, Einband stärker, Papier schwächer gebräunt, Name auf dem Vorsatzblatt.
Bestell-Nr.161428
Twain |
Nordamerikanische Literatur
Mark Twains „Der geheimnisvolle Fremde“ ist eine der faszinierendsten und rätselhaftesten Erzählungen des amerikanischen Autors, die posthum veröffentlicht wurde und zu seinen sogenannten „Finsteren Schriften“ zählt. Das Werk entstand in einer Phase, in der Twain zunehmend verbittert und desillusioniert war – geprägt von persönlichen Schicksalsschlägen und einer scharfen Kritik an Gesellschaft, Religion und Politik.
Die Handlung spielt im mittelalterlichen Österreich, genauer im fiktiven Dorf Eselsdorf. Dort taucht eines Tages ein geheimnisvoller Junge auf, der sich den Dorfjugendlichen als Neffe Satans vorstellt. Dieser Fremde, der über übernatürliche Kräfte verfügt, wird zum Mittelpunkt seltsamer Ereignisse und freundet sich besonders mit dem jungen Theodor an. Durch ihre Gespräche enthüllt der Fremde tiefgründige Einsichten über das Leben, die Welt und die Absurditäten der menschlichen Existenz. Die Erzählung verbindet auf einzigartige Weise phantastische Elemente mit gesellschaftskritischen Reflexionen: Twain thematisiert etwa die Sinnlosigkeit von Kriegen, die Illusion des Fortschritts und die Heuchelei der Menschen. Sein Stil schwankt dabei zwischen beissendem Witz, drohender Tragik und philosophischer Tiefe, was das Werk zu einem „kleinen Meisterwerk“ macht, wie Rezensenten betonen.
Besonders bemerkenswert ist die Entstehungsgeschichte des Textes: Twain arbeitete über zehn Jahre an verschiedenen Fassungen, die sich stark unterscheiden. Die bekannteste Version, „Nr. 44, Der geheimnisvolle Fremde“, gilt als seine letzte Erzählung und wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. Die Insel-Ausgabe von 1921 ist nicht nur literarisch, sondern auch bibliophil von grosser Bedeutung. Sie wurde von Wilhelm Nobbe ins Deutsche übertragen und ist heute bei Sammlern als wertvolle Erstausgabe begehrt.
Die Rezeption des Werks ist bis heute ambivalent. Während einige Leser und Kritiker die Lebensweisheit und den scharfen Blick auf die menschliche Natur schätzen, sehen andere darin eine eher düstere, fast zynische Abrechnung mit der Welt. Twains Fähigkeit, Komik und Tragik zu verbinden, macht den Text jedoch zu einem ungewöhnlichen und nachhaltigen Leseerlebnis. Die Erzählung spricht sowohl Jugendliche durch ihre spannende Handlung als auch Erwachsene durch ihre philosophische Tiefe an – ein Buch, das in seiner Weisheit mit Werken wie der Bibel oder der Bhagavad-gita verglichen wurde.
Mistral/Le Chat