Hänny, Reto,
Ruch. Ein Bericht. 1. Auflage. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1979. 246 Seiten. Pappband (gebunden) mit Schutzumschlag.
Bestell-Nr.155801 | ISBN: 3-518-03017-5 | 978-3-518-03017-2
Haenny |
Schweizer Literatur |
Literatur Deutschschweiz |
Raetica |
Graubuenden
Einer, der längere Zeit klein, von hinten, als Bühnenarbeiter mit der Fabrikation von Theater zu tun gehabt hat, hört auf, um nicht als Versatzstück unter Versatzstücken zu verschwinden, und beginnt, mit Wut im Bauch, aber tastend auf der Suche nach sich selbst, über diese Zeit und gegen das herrschende Theater der großen Kleinstadt Ruch zu schreiben. Er nimmt Anlauf, mehrere Anläufe, er weicht aus, bricht ab, wird unterbrochen, er erinnert sich an Gespräche mit dem Beleudlter, mit Theaterarbeitern, schweift ab, kommt auf die Fiktionen der eigenen und der Stadtgeschichte, auf Jürg Jenatsch und patriotische Feiern und Dreyfus in Ruch, auf Militär und Stadtpolitik, auf die Kanalisierung und Versenkung des verdreckten Flusses, auf die Restaurierung und Zubetonierung der Stadtkulisse zu sprechen: StadtTheater. Bemüht um detaillierte Radikalität, mit nervöser Engelsgeduld arbeitet der Berichterstatter sich an seinem Stoff ab, im Versuch, hinter die Masken einer nach außen hin sich abschließenden Gesellschaft zu leuchten. Hänny schildert das Klima einer wirklich fiktiven Schweizer Stadt zum Ersticken. Marginalien und Ausschweifungen gehören dazu genauso wie die gleichen oder ähnlichen, unter stets sich wandelnder Beleuchtung hartnäckig wiederkehrenden Bilder und Szenen — das Ganze läßt sich als eine, zum Universum gesteigerte TheaterMetapher lesen — , desgleichen alle Abbrüche, Verweigerungen, Neuansätze des Berichterstatters: Wollten wir das spielen? Mußten wir uns das ansehen? — Sdireibend setzt er sich zur Wehr.
Zur Wehr nicht gegen das Theater, das Spiel, die Rollen überhaupt, in nostalgischer Trauer um niegewesen alpine Einfalt, sondern gegen die Verselbständigung und Manipulierung des schönen Scheins, gegen die Gewalttätigkeit bestimmter Erwartungen. Akribisch und ironisch, unter Zuhilfenahme auch eines Lästermauls, geht der Erzähler gegen das verkleisternde Theater vor, nimmt Partei für Unterscheidungen und Aufhellungen, fürs Vorzeigen der Widersprüche. Einmal, als vom Schnürboden ein Arbeiter auf die Bühne stürzt, tot, wird die Probe unterbrochen. Der Leser atmet auf: Ende des Theaters! Aber abends dann, erz:ihlt der Beleuchter, »nach jenem kurzen vormittäglichen sturz .in die wirklichkeit und gleichzeitig aus der wirklichkeit ins niemandsland des kurzen gedenkens und langen vergessens, nachdem der schwere teppich über die bretter ausgelegt worden wäre, wäre die angekündigte vorstellung wie gewohnt gelaufen ...«
Reto Hänny, geboren 1947 in Tschappina, lebt in Zürich. Ruch ist sein erstes Buch.