Kornfeld und Klipstein,
Nachlass Julius Hess. Zweiter Teil: Bücher. Bern: Kornfeld und Klipstein, 1941. VIII, 194 Seiten mit Abbildungen und Register. Broschur. 229 x 158 mm.
* Versteigerungs-Katalog; 19. - Auktion 3.-5. Dezember 1941. - Gebräunt.
Bestell-Nr.159654
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VERSTEIGERUNGS-KATALOG XIX
NACHLASS
JULIUS HESS
HESS-ANTIQUARIAT, BERN
ZWEITER TEIL
KOSTBARE BÜCHER
Inkunabeln, Handschriften, illustrierte Bücher des 1 5.—19. Jahrhunderts,
kostbare Einbände. - Medizin, Naturwissenschaften, Technik,
Autores graeci et latini, Humanismus, Geographie,
Helvetica, Kinderbücher, Kuriosa, Varia usw.
HAND- UND FACHBIBLIOTHEK
Bibliophile und
graphische Nachschlagewerke
Versteigerung in Bern
in der Schulwarte am Helvetiaplatz
Mittwoch, den 3., bis Freitag, den 5. Dezember 1941,
vormittags 9-30 und nachmittags 14 Uhr
durch die Kunsthandlung Aug. Klipstein, vormals
GUTEKUNST & KLIPSTEIN
Telephon 3 46 37
Thunstrasse 7
Telegrammadresse : Artus
Antiquar Julius Hess
Julius Hess, der Besitzer der Bibliothek, die hier zur Auktion kommt,
wurde am 24. November 1900 als Sohn des angesehenen Antiquars
Gottlob Hess zu München geboren. Die Firma, die Hess von seinem
Vater übernahm, war 1813 in Ellwangen gegründet und als wissenschaftliches und theologisches Antiquariat geführt worden. Schon der
Grossvater Hess hatte das Sammeln von alten, wertvollen Büchern zu
seinem Lieblingsfache erkoren. Der Vater begründete dann eine selbständige Firma mit Sitz in München, die ausschliesslich seltene alte
Bücher und Raritäten pflegte. Sein reiches Wissen und die strenge
Rechtlichkeit und Gewissenhaftigkeit seinen Auftraggebern gegenüber
machte die Firma bald weitherum bekannt. Kurz vor Ausbruch des
Krieges, am 14. Juli 1914, starb der Vater Hess, noch bevor der Sohn
das geistige Erbe antreten konnte. Das Geschäft wurde jetzt von der
Mutter, Frau Meta Hess, übernommen und über die schweren Kriegs-
und Nachkriegsjahre hinübergebracht. Unter ihrer sicheren Führung
entwickelte sich das Hess-Antiquariat zu einem Hause von internationaler Bedeutung. Die Beschaffung schwer auffindbarer Bücher und
Handschriften wurde immer mehr zum eigentlichen Hauptfache des
Geschäftes, welches als erstes Antiquariat künstlerisch ausgestattete
Kataloge in stilvoller Form herausgab.
Während die Mutter das Erbe unter schwierigsten Bedingungen durch
die bösen Nachkriegsjahre rettete, liess sie den Sohn studieren. Das
fachliche Wissen erwarb er sich in dem Frankfurter Antiquariat Joseph
Baer & Co. und in der Wiener Firma Gilhofer & Ranschburg; hier
konnte er gut und gründlich erlernen, was zum Antiquariatswesen,
zur Beschreibung alter Bücher und zur Kenntnis der Originale nötig
ist. Wien wurde ihm bald zur zweiten Heimat. Die geistreiche liebenswürdige Stadt voller Charme und Humor zog ihn bald in ihren Bann und
hat ihn nie mehr daraus entlassen. Hessens künstlerisch reich veranlagte Natur durfte hier hundertfache Anregung empfangen.
Nach allen Seiten gründlich vorbereitet trat Julius Hess ins väterliche
Geschäft ein, das er gemeinsam mit seiner Mutter bis Ende 1936 in
München führte. Während die Mutter vorzugsweise alte Stiche,
Bücher und ganz besonders auch Bücher und Manuskripte mit schönen
Malereien und alte Einbände sammelte, zog der Sohn all die vielen
grossen und kleinen Merkwürdigkeiten vor, so dass er es bald im
Bereiche der frühen Drucke, Holzschnittbücher und Seltenheiten
zu einer ganz einzigartigen Kennerschaft brachte. Sein immer fröhliches und umgängliches Wesen trug ihm von seinen Kollegen den
«nom de guerre» Juhé ein, der wohl den guten Kollegen versinnbildlichen mochte, aber nicht bis in die Tiefen dieser empfindsamen und
verletzlichen Seele, die alles Unharmonische beleidigte und aufrührte,
vorstiess.
Wenn es Julius Hess gelang, schon in jungen Jahren die Achtung und
Hochschätzung seiner Kollegen zu gewinnen, so hatte er das nicht nur
seinem Können und seiner unermüdlichen Schaffenskraft zu danken,
in hohem Masse mitbeteiligt war auch seine liebenswürdige Persönlichkeit, die (nach den Worten eines Kollegen) sich in einer Persönlichkeit
von seltenem Charme vollendete, eine Persönlichkeit, die den Bibliophilen und den Antiquar, ja den verträumten Liebhaber und Händler
in sich vereinte.
Die Jahre der politischen Wandlung in Deutschland zwangen Hess
1936 zur Verlegung des Geschäftes. Dank des ausgezeichneten Rufes,
den das Hess-Antiquariat in der ganzen Welt genoss, öffnete ihm die
Stadt Bern gastlich ihre Tore, nachdem seine Kollegen sich für die Erteilung der behördlichen Bewilligung an Julius Hess, den Konkurrenten,
eingesetzt hatten. Rasch hat er sich in Bern, wo er mit Frau und Kind
neu ansiedelte, durch seine fachlichen und menschlichen Vorzüge einen
treuen Freundeskreis geschaffen, und mit grosser Liebe hing er an
diesem neuen Kreise und Lande, das ihm dem stillen Naturfreunde
nun zur dritten Heimat wurde.
Die stilvollen, weiten Räume eines ehrwürdigen Patrizierhauses nahmen
jetzt sein Geschäft auf, und von diesem reizvollen und wohnlichen
Bibliotheksraume aus spann er seine Verbindungen und Geschäfte bis
in die neue Welt hinüber, in die er im Sommer 1939 eine ausgedehnte
und fruchtbringende Geschäftsreise unternahm.
Gross war Hessens Naturliebe. Die mannigfachen Sportarten, die er
von jeher trieb, waren die Folge dieser tief eingegrabenen Neigung. Ob
Fluss, Berg oder See, blieb sich gleich. Seiner gesteigerten Sensibilität
gegenüber bot sich der Sport als Kontrast, als Lösung und Wohltat
dar. Dass er einer der ersten war, die von Bayern bis nach Venedig im
Faltboot trieben, bedeutete ihm eine ebenso rühmliche Leistung wie
irgendeine antiquarische Entdeckung. In der Schweiz waren es vor
allem Hochgebirge und Tessin, die ihn immer wieder lockten und anzogen. Im Frühjahr 1940 packte er sein Skizeug zusammen und fuhr
auf einige Tage nach Davos. Auf der Parsennabfahrt brach er zusammen.
Dies war die erste, deutliche Mahnung. Hess begab sich in ärztliche
Behandlung und glaubte sich auf dem Wege der Besserung. Die Fenster
seiner Wohnung gingen nach dem Gurten hinaus, und als er am letzten
Sonntag vor Weihnachten die schönen Schneeverhältnisse sah, hielt ihn
nichts mehr zurück. Ganz sanft und vorsichtig, wie der Arzt ihm geraten
hatte, wollte er abfahren, und so tat er auch. Einige Minuten später
schon sank er in den Schnee — ein Herzschlag hatte ihn erreicht. Er
starb, ohne zu leiden, in der Landschaft, die er liebte und die ihm im
besten Sinne zur neuen Heimat geworden war.
Wer Julius Hess, den guten und liebenswerten Menschen kannte, wird
ihn vermissen wie einen der unseren. In seinem Heim an der Junkerngasse hatte er eine feinsinnige und offene Gastlichkeit geübt, an der
neben Gelehrten, Schriftstellern und Künstlern auch viele von der
schweren Zeit Entwurzelte und Vertriebene teilnehmen durften. Selten
einer hatte die drückende Gabe des Mitleidens in solchem Masse mitbekommen wie er. Sie gesellte sich zu der noch selteneren Eigenschaft,
die Menschen nur nach ihrem Charakter und nicht nach ihrer äussern
Stellung zu beurteilen, weshalb heute Freunde aus allen Volksschichten
um ihn trauern. Herr Dr. Hans Bloesch, Oberbibliothekar der Berner
Stadtbibliothek, hat Julius Hess zum Abschied die gültigen Worte nachgerufen: «Neben den geschäftlichen Beziehungen, die für Institute
und Private die schönsten Ergebnisse zeitigten, war es vor allem der wertvolle Mensch mit seinem fröhlichen, offenen, durch und durch lauteren
Charakter und seinen ausserordentlich reichen Kenntnissen, der für
alle, die mit ihm zusammenkamen, eine wirkliche Bereicherung bedeutete. Ihm war das Buch nicht nur ein Handelsobjekt, mit fanatischer Liebe hing er an seinen Büchern, war vertraut mit ihrem Inhalt und mit
ihrer wissenschaftlichen Bedeutung, hütete sie wie einen Augapfel
und konnte doch wieder sorglos verschenken, wenn ihn seine nur allzuhäufige Geberlaune ankam. —- Vorschnell hat er uns verlassen, aber
dass er in so vielen Herzen nach der kurzen Zeit eine so schmerzliche
Lücke aufreisst, das ist wohl das schönste Lob, das man einem Menschen
nachsagen kann.» Das irdische Lebenshaus von Julius Hess haben drei
Länder gestellt: das Deutsche Reich, Alt-Österreich und die Schweiz.
In ihnen aber sind es vor allem drei Städte: München, Wien und Bern.
Die gemütbildenden Kräfte dieser drei Landschaften verkörperte Hess
in schlechterdings vollkommener Weise: robustes, draufgängerisches
München
, feinsinniges, etwas müdes und geniesserisches Wien —
und rauhes, verschlossenes, aber gutmeinendes Bern. Mit dem Tode
von Julius Hess wird das Hess-Antiquariat erlöschen. Das Werk dreier
Generationen zerfällt und zerflattert, und von der grossen Liebe und
dem unermüdlichen Fleiss seiner Betreuer bleibt nur die Erinnerung.