Keller, Gottfried,
Aufsätze zur Literatur. München : Winkler, 1971. 105 Seiten. Broschur.
* Herausgegeben u. kommentiert von Klaus Jeziorkowski. - Börne, Ruge, Gotthelf, Goethe und Schiller.
Bestell-Nr.156836
Keller |
Germanistik
VORWORT
Man hat Gottfried Keller vielleicht etwas lange als den NurFabulierer, den genialen Erfinder, den der Reflexion fernen Vollblutkünstler behandelt. All das ist er in der Tat auch, aber nicht nur. Man verunstaltet ihn, wenn man ihn nach dem Modell jenes Standardpoeten porträtiert, der in holder Entrückung, vom Besuch der Muse benommen und das von ihr Diktierte willenlos mitstenographierend, himmlische oder auch kuriose Gesichte aufs Papier wirft. Keller kennt sich aus in der Geschichte und in den handwerklichen und technischen Regeln seines Metiers, er reflektiert sie, kontrolliert sie an anderen Schreibenden. Fast — freilich nicht ganz ohne Abstriche — wäre er ein gelehrter Autor zu nennen, ein gebildeter ist er ohnehin, und es wäre eher verwunderlich, wenn er sich bei solchen Voraussetzungen nicht auch literaturkritisch betätigt hätte. Er tat das im Ausmaß nicht exzessiv — fast alle seine Aufsätze bewahren den Habitus von Gelegenheitsarbeiten —, aber der Sache nach mit dem größten Effekt und Erfolg. Als Siegel auf die Güte dieser kritischen Arbeiten würden allein die vier GotthelfBesprechungen ausreichen, die auch in diesem Auswahlband nicht zu entbehren sind. Es gibt Gesichtspunkte, die diese vier Essays über den großen Landsmann und Zeitgenossen und die Bemerkungen über Börne und Ruge dem derzeitigen Diskussionsstand in der Literaturwissenschaft besonders naherücken: vor allem Kellers Einsicht, daß Politik und gesellschaftliche Zustände hier und Schönes, Kunst, Literatur dort keine durch Welten getrennten, einander wildfremden Antipoden sind, sondern auf die natürlichste Weise, freilich nicht immer die feinste, miteinander zu tun haben. Und in ebendiesem Punkt empfehlen sich diese Schriften dem Disput unserer Tage zugleich auch als Korrektiv: Sie sind von Grund auf pragmatisch, von geübtem common sense, antidogmatisch, und um keinen Preis geben sie sich etwa dazu her, einer ideologisch eingezäunten, doktrinären Soziologisiererei, die heute alles über den langen von Marx bis Lin Pao geblasenen Kamm scheren möchte, das Wort zu reden. Sie sprechen nur vom Selbstverständlichen, davon, daß Politisches und Literarisches voneinander nicht separiert und isoliert sind, setzen aber keine Konversion zu einer um Dogmen versammelten Gemeinde voraus. Vor allem machen sie auf ihre Art klar, daß ästhetische Qualitäten und Kriterien von den soziologischen nicht einfach verschluckt, geschweige denn verdaut werden können. Aus dieser Erkenntnis vor allem konnten noch ein so überwiegend ästhetisches Faktum wie das „goldene Grün" und die darauf zielende Polemik eines fernen Pedanten für Keller zu einem solchen Abenteuer werden; auch deshalb sind diese Notizen mit dem leicht abstrusen Titel hier als Spektralfarbe im kritischen Organon Kellers nicht gut zu übergehen, sie sind mehr denn Kuriosum und Schrulle. Sie haben ihre Berechtigung und ihren Stellenwert darin, daß wechselseitige Beziehungen zwischen Ästhetischem und Sozialem —und seien sie auch nach einer inflatorisch gebrauchten Vokabel „dialektisch" und noch so eng — ihrer Natur nach etwas anderes sind als blanke Tautologien und Identitäten. Selbstverständliche Kommunikation und selbstverständliche Distinktion zwischen beiden, das ist Kellers Thema in diesem Band.
K. J.
INHALT
Vorwort 5
Ludwig Börne 7
Arnold Ruge . 14
Jeremias Gotthelf 23
Das goldene Grün bei Goethe und Schiller . 72
Anmerkungen 75