Richter, Arthur,
Die Juden und wir. Marburg a.d. Lahn : Edel, 1962. 22 Seiten. Broschiert mit Klammerheftung.
* Ökumenische Texte und Studien; 20. - Gebräunt.
Bestell-Nr.156667
Richter |
Christentum |
Theologie |
Judaica
Seit vielen Monaten beschäftigt mich die Frage nach unserem, nach meinem Verhältnis zu den Juden. Durch die Begegnung mit den Marienschwestern kam Licht in das Durcheinander, und seitdem war es mir nicht mehr erlaubt, den berühmten Mantel der christlichen Nächstenliebe und des wohltätigen Vergessens über ein Problem zu decken, das nicht zur Ruhe kommen darf. Während des Eichmann- Prozesses in Jerusalem hat die ganze Welt erschreckt und atemlos entdeckt, daß die Judenfrage wie eine offene Wunde am Körper der Menschheit noch immer nicht heilen kann. Man hatte in den vergan
genen Jahren viel Salbe und Pflasterzeug verwandt, um sich den An
blick der Verwundung zu ersparen, aber nun war sie aufgebrochen und schüttete ihren entsetzlichen Eiter über die Menschheit aus, daß alle Welt vor Grauen und Ekel aufschrie. Was da mit einer fast un
menschlichen Sachlichkeit aus den Aktenstapeln hervorbrach, war so grauenhaft, daß abgebrühte Journalisten mit grünlichem Gesicht den Gerichtssaal verlassen mußten. Ein Bruchteil davon ist in die Zeitun
gen gekommen, und nach kurzer Zeit wehrte man ab. Es war nicht mehr zu ertragen, was deutsche Menschen, unsere Zeitgenossen, ge
tan haben. Dieser Höllenspuk ist unsere Geschichte! Indessen wühlte der Angeklagte im Glaskasten des Gerichtssaales in Akten, machte Notizen und tat ganz so, als handle es sich um den Zusammenbruch eines Geschäftes, bei dem der Buchhalter einige Fehler gemacht haben sollte. Wie unaussprechlich jämmerlich und beschämend! Und doch gehört auch das zu unserer Geschichte. Hätte in Jerusalem ein Mann vor Gericht gestanden, ein Bösewicht, ein Schuft, aber doch ein Mann, der zu seinen Verbrechen stand, dann wäre das Bild noch erträglicher gewesen. Aber auch das konnte nicht sein. Die einen hätten darin eine Selbstrechtfertigung gesehen, wenn das deutsche Verbrechen an den Juden nur von einigen Schurken begangen worden wäre. Die konnte man aburteilen, der Gerechtigkeit war Genüge getan und wir alle wären unsere Verantwortung los. Es hätte auch schon heute wie
der Menschen gegeben, die mit einem gewissen Stolz auf diese Ver
brecher von Format schauten: „Es waren eben doch Kerle!" Nein, dieser „Buchhalter des Todes", dieser Kleinbürger, der auch noch so etwas wie eine christliche Vergangenheit hatte, der repräsentiert tat
sächlich unsere deutsche Geschichte. Nicht irgendwelche übergroßen […]