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Pidoll .:. Ein Leben mit Chopin

158726
Pidoll, Carl von, Ein Leben mit Chopin. Roman. Zürich, Frankfurt, Innsbruck, Paris, Brüssel, Lausanne 1958.
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13.-28. November 2024

Beschreibung
Pidoll, Carl von,
Ein Leben mit Chopin. Roman. Zürich, Frankfurt, Innsbruck, Paris, Brüssel, Lausanne: Stauffacher-Verlag, 1958. 299 Seiten. Leinen. 210 x 138 mm. 470 g

Bestell-Nr.158726
Pidoll | Biographien Musik | Komponist | Musik | Frederic Chopin | Chopin

ERSTES KAPITEL
Heute, auf den Tag genau, sind es zehn Jahre, dass Frederic Chopin uns verliess. Er war ein grosser Künstler, ein schöpferisches Genie erster Ordnung. Und ein Mensch von aussergewöhnlicher Schlichtheit. Tiefer Empfindung fähig ohne Zweifel, im übrigen ein stiller, wohlmeinender, einfacher, zurückhaltender, beinahe naiver Mann.
Das scheint, ausser mir, niemand bemerkt zu haben. Ich hatte gehofft, aller Unsinn, aller teils sensationslüsterne, teils boshafte Unsinn, der schon zu seinen Lebzeiten über ihn zirkulierte, werde sich nach seinem Tod allmählich verlaufen. Ich bildete mir ein, seine Musik, seine unendlich klare, durchsichtige, schöne, köstliche Musik werde es mit der Zeit selbst den flachsten Seelen unmöglich machen, etwas anderes in ihm zu sehen, als er in Wirklichkeit war. Stattdessen erlebe ich das Gegenteil. Seit er tot ist, hat sich der Unsinn, der über ihn verbreitet wird, verdoppelt, genährt von einer erstaunlich zähen und erfindungsreichen Legendenbildung. Leute, die ihn weit weniger gut gekannt haben als ich, erzählen mir ins Gesicht hinein Anekdoten, für deren Richtigkeit sie sich verbürgen, berichten mir von Zwischenfällen und Ereignissen, denen sie beigewohnt zu haben behaupten, liefern mir Erklärungen und Analysen seiner Werke und der seelischen Vorgänge, aus denen sie herauswuchsen, in wirrem Durcheinander, ohne Zusammenhang, widerspruchsvolles, ungereimtes Zeugs — hellen Unfug mit einem Wort, den ich meist schon mit ein paar kurzen Hinweisen auf Daten und Tatsachen ad absurdum zu führen vermag. Und dann laufen die Leute von mir fort und erzählen irgendwoanders die gleichen Phantastereien die sie mir auftischten, und setzen womöglich noch hinzu: «Ich war übrigens eben bei Delacroix und er hat mir bestätigt, dass alles sich wortwörtlich so zugetragen hat, wie ich es Ihnen berichte ...»
Es mag sein, dass so etwas unvermeidlich ist, wenn ein Künstler von authentischer Grösse sein Dasein in der Umwelt eines grosstädtischen beau monde verbringt, es mag sein, dass die Person Chopins, durch gewisse Eigenheiten, die ihr anhaften, sich zum Kristallisationspunkt klatschsüchtiger Legendenbildung besonders eignete — ich zerbreche mir darüber nicht den Kopf. Aber die Tatsache, dass die sich um seine Person rankende Legende die schlichte Wahrheit seines inneren und äusseren Lebensablaufs zu ersticken droht, lässt mir keine Ruhe. Seit Jahren schon lässt sie mir keine Ruhe. Und obwohl ich kaum noch sehr lang zu leben habe, obwohl ich Grund hätte, mit meinen Kräften und mit meiner Zeit haushälterisch umzugehen, da ich voller eigener Pläne stecke, deren ich nur mehr einen kleinen Teil auszuführen hoffen kann, habe ich heute den Entschluss gefasst, wenigstens den Versuch zu unternehmen die schlichte Wahrheit des Chopin'schen Lebensablaufs in nüchternen Worten zu Papier zu bringen.
Ich weiss, warum ich das tue. Ich, der ich doch sonst keine grosse Selbstüberwindung aufwenden muss, um alles, was mich und meine Arbeit nicht unmittelbar angeht, laufen zu lassen, wohin es will. Ich tue es, weil — nun, wenn ich's zu Ende führe, was ich mir eben vornahm, wird es zutage liegen, warum ich es tue.
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