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Schnurre .:. Die Mauer

155354
Schnurre, Wolfdietrich, Die Mauer des 13. August. Berlin 1962.
30,00 CHF
Menge

  Vorübergehend geschlossen

13.-28. November 2024

Beschreibung
Schnurre, Wolfdietrich,
Die Mauer des 13. August. Berlin : Staneck, 1962. 106 Seiten mit Abbildungen. Halbleinen. 318 g
* Bilddokumentation über die Entstehung der Berliner Mauer. - Gebräunt, leicht gewölbt.
Bestell-Nr.155354
Schnurre | Politik | Deutschland | DDR | Deutsche Literatur | Photographie | Fotografie

Hier wird noch einmal zusammengefaßt, was wir alle miterlebt haben: sei es betroffen am Tatort Berlin, sei es bestürzt in der Zone, sei es beunruhigt vor dem westdeutschen Fernsehschirm oder gepeinigt in unseren gesamtdeutschen Träumen. Sie kennen alles, was diese Seiten verzeichnen; nichts, was Sie hier finden, ist Ihnen fremd. Sie sehen Steine und Betonfertigteile, wie man sie gewöhnlich zum Bauen von Häusern verwendet, plötzlich, wild und unregelmäßig aufeinandergetürmt, traurige Großstadtstraßen zerteilen. Sie sehen Fenster, die sind, statt mit spiegelndem Glas oder bergendem Dunkel, mit eilig gemauertem Backstein gefüllt. Sie sehen einen Stacheldrahtdschungel entstehen im karstigen Zentrum der Zivilisation. Sie sehen Helme, Uniformen und Waffen, getragen von Männern, die Ihre Brüder, Ihre Söhne, Ihre Enkel sein könnten und die, wenn Sie sie anzusprechen versuchen, an Ihnen vorbeiblicken oder schweigend das Gewehr auf Sie richten. Und Sie sehen Berlin. Ein Berlin mit Würgemalen am schienengeäderten Hals. Ein Berlin, das fiebrig zu frösteln und an Atemknappheit zu leiden beginnt. Ein Berlin, das sich seine Bewohner so krampfhaft und derart beschwörend gegen die Brust preßt wie während der letzten Jahrzehnte nur Ende des Krieges. Und Sie sehen auch wieder die Leidtragenden. Sie sehen sie an Stricken aus ihren zugemauerten Wohnungen fliehen. Sie sehen sie fassungslos. Sie sehen sie weinen. Sie sehen sie protestieren, und Sie sehen, wie sie die übermenschliche Anstrengung aufbringen, sich schließlich diesen furchtbaren neuen Gegebenheiten zu stellen. Nein, es wird Ihnen nichts Unbekanntes geboten; Sie haben fast alles, was dieses schmale Buch Ihnen zeigt, schon einmal gesehen, schon einmal gelesen. Aber ich frage Sie: Wo ist es geblieben? Wo sind die Bilder des Leids, des Schreckens in Ihnen? Wo ist die Erinnerung an jenen verzweifelten Vater, der sein Kind aus dem Fenster des dritten Stockwerks ins Sprungtuch der Feuerwehr warf, nicht weil es brannte, sondern weil Nagelschuhschritte im Treppenhaus dröhnten? Wo ist Ihr Unbehagen, das Sie vor dem Todesstreifen empfanden, dessen gieriges Kranmaul Gärten und Wohnhäuser fraß und quer durch Berlin ein breites, nie verharschendes Wundmal nationaler Schande aufriß? Wohin hat sich Ihr uneingestandenes Entsetzen über die ersten uns bekannt gewordenen Toten geflüchtet, die im Kugelhagel deutscher Gewehre in deutschen Kanälen und Flüssen versanken? Wo sind die tastenden Scheinwerferfinger in Ihrem Bewußtsein, die aus den nächtlichen Grenzgebieten um Westberlin ein konzentrationslagerähnliches Niemandsland schneiden? Wo ist der Schlagschatten der Mauer geblieben, der auf Ihren adrett gedeckten Frühstückstisch fiel? Die Mauer steht doch noch; sie hat sogar noch eine betonierte Schwester bekommen. Die Scheinwerfer strahlen doch noch; sie werden sogar noch täglich verstärkt. Die Toten sind doch noch nicht zur Ruhe gekommen; ihre Zahl hat sogar noch zugenommen inzwischen. Die deutschen Gewehre schießen doch noch; es werden sogar wehrlose Deutsche von bewaffneten Deutschen mit Bajonetten zusammengestochen. Der Todesstreifen quer durch Berlin existiert doch noch; er wird sogar noch ständig verbreitert. Die Menschen fliehen doch immer noch; das Maß an Lebensgefahr, das sie auf sich nehmen müssen dabei, es ist sogar noch erheblich gestiegen. Sagen Sie nicht, es wäre unmöglich, mit solchen Bildern im Herzen zu leben. Es wird ja sogar mit diesen Bildern im Herzen gestorben. Und sind unsere Menschen in Ostberlin und der Zone denn nicht auch gezwungen, mit diesen Bildern zusammenzuleben; gesehen, schon einmal gelesen. Aber ich frage Sie: Wo ist es geblieben? Wo sind die Bilder des Leids, des Schreckens in Ihnen? Wo ist die Erinnerung an jenen verzweifelten Vater, der sein Kind aus dem Fenster des dritten Stockwerks ins Sprungtuch der Feuerwehr warf, nicht weil es brannte, sondern weil Nagelschuhschritte im Treppenhaus dröhnten? Wo ist Ihr Unbehagen, das Sie vor dem Todesstreifen empfanden, dessen gieriges Kranmaul Gärten und Wohnhäuser fraß und quer durch Berlin ein breites, nie verharschendes Wundmal nationaler Schande aufriß? Wohin hat sich Ihr uneingestandenes Entsetzen über die ersten uns bekannt gewordenen Toten geflüchtet, die im Kugelhagel deutscher Gewehre in deutschen Kanälen und Flüssen versanken? Wo sind die tastenden Scheinwerferfinger in Ihrem Bewußtsein, die aus den nächtlichen Grenzgebieten um Westberlin ein konzentrationslagerähnliches Niemandsland schneiden? Wo ist der Schlagschatten der Mauer geblieben, der auf Ihren adrett gedeckten Frühstückstisch fiel? Die Mauer steht doch noch; sie hat sogar noch eine betonierte Schwester bekommen. Die Scheinwerfer strahlen doch noch; sie werden sogar noch täglich verstärkt. Die Toten sind doch noch nicht zur Ruhe gekommen; ihre Zahl hat sogar noch zugenommen inzwischen. Die deutschen Gewehre schießen doch noch; es werden sogar wehrlose Deutsche von bewaffneten Deutschen mit Bajonetten zusammengestochen. Der Todesstreifen quer durch Berlin existiert doch noch; er wird sogar noch ständig verbreitert. Die Menschen fliehen doch immer noch; das Maß an Lebensgefahr, das sie auf sich nehmen müssen dabei, es ist sogar noch erheblich gestiegen. Sagen Sie nicht, es wäre unmöglich, mit solchen Bildern im Herzen zu leben. Es wird ja sogar mit diesen Bildern im Herzen gestorben. Und sind unsere Menschen in Ostberlin und der Zone denn nicht auch gezwungen, mit diesen Bildern zusammenzuleben;
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